Mit Tieren, bis ich sterbe

Eva Bromée ist Berufsjägerin. Sie wurde in die Welt der Jagd geboren, mit Tieren als ihre engsten Freunde. Obwohl sie eine erfolgreiche Jägerin ist und Jagdhunde bis in die höchste Klasse trainiert hat, ist es eine harte, patriarchale Kultur, in der sie sich bewegt. Doch Eva hat kein Problem damit, für sich einzustehen. „Du solltest den Artikel ‚Von der Frau, die Männer hasst, aber Tiere liebt' nennen“, feixt sie.

Das letzte Stück von Sorsele zieht sich unendlich, obwohl wir „fast am Ziel“ sind. Das sagt etwas über das Verständnis von Entfernungen so weit im Norden aus. Die gerade Landstraße verändert ihre Gestalt kaum, wird aber durch den aufgewühlten Fluss Vindelälven belebt. Der Fluss, für den der schwedische Künstler Evert Taube all die Jahre gekämpft hat, darf weiter zwischen Bergen, Fichten und Kiefern rauschen.


Eva

Die Dämmerung senkt sich über Ammarnäs. Eva bewegt sich auf dem Hofplatz und die Hunde rasen herum, aufgeregt wegen des fremden Autos, das in der Einfahrt steht. Sie grüßt kurz. „Ich bin gleich soweit, muss mich nur doch darum kümmern, den Elch in die Garage zu bekommen.“ Sie hebt einen halben Elchkörper von der Ladefläche, der viel größer ist als sie selbst. Offenbar kann sie ihn kaum tragen, aber das scheint sich nicht zu bekümmern. Auf dem Hofplatz sind noch die Reste von der Rentierschlachtung zum Trocknen ausgelegt. Geweih, Felle und Knochen, alles sorgfältig sortiert.

Eva trägt einen Camouflage-Anorak, der ihr sicherlich drei Nummern zur groß ist. „Es ist gut, wenn man Platz hat, um einen Hund unter den Mantel zu stecken, sollte das im Fjell nötig sein.“ Sie hat klare, dunkle Gesichtszüge, und die Natur hat Spuren in ihrem üppigen, weizenblonden Haar hinterlassen.

Eva wuchs zusammen mit Mutter, Vater und fünf Schwestern auf einem Hof in Klövsjö in Jämtland auf. Nie war die Rede davon, dass die Töchter irgendeine Form von Kinderbetreuung haben sollten. Sie verbrachten die Tage im Wald mit Vater Arne, der auch Berufsjäger war. „Wir waren wahrscheinlich eine etwas andere Familie. Einige Zeit studierte uns die Psychoanalystin Rigmor Robert und meinte, dass wir beinahe tierähnlich erzogen würden. Sie verglich unsere Familie mit Pavianen.“ Als Eva schließlich in die Schule kam, wurde sie mehr oder weniger zu einer Außenseiterin. „Ich hatte nicht so viele soziale Fähigkeiten. Unter anderem begleitete mich Banna, einer der Hunde meines Vaters, jeden Tag zur Schule. Dann lief die Hündin allein nach Hause und kam am Ende des Schultags zurück, um mich abzuholen." Ihre jagdliche Ausbildung begann früh. Vater Arne kaufte einen Schießsimulator, damit sie die Möglichkeit hatte, das Schießen zu üben. „Es endete damit, dass jeder Mann, der zu uns nach Hause kam, mich herausforderte, aber ich gewann immer. Es wurde eine Art Show.“ Sie grinst und man merkt, dass diese Erinnerung ihr Herz wärmt.

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„Ich entspreche ja nicht der Norm, wie man sein soll, und für manche kann es problematisch sein, dass ich in keine Schublade passe. Aber ich habe gelernt, mich darum nicht zu kümmern.“


Eva und ihre Schwestern wurden nach der Devise erzogen, dass man alles kann, es aber selbst schaffen muss. „Das war ziemlich hart, wir mussten alles selbst machen. Gleichzeitig ist es die Grundlage für den Menschen, der ich heute bin, denn sonst hätte ich mich in diesem männerdominierten Geschäft wohl nie so gut behaupten können. Ich entspreche ja nicht der Norm, wie man sein soll, und für manche kann es problematisch sein, dass ich in keine Schublade passe. Aber ich habe gelernt, mich darum nicht zu kümmern.“ Sie zeigt die neue Ausgabe eines bekannten Jagdmagazins. „Guck dir zum Beispiel das hier an: wir werden wohl noch weitere 100 Jahre warten müssen, bis mal eine Frau alleine den Umschlag zieren wird.“

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Die Hunde

„Ich betrachte es als eine Ehre, gemeinsam mit Hunden durchs Leben zu gehen; leider ist die Zeit meines Lebens, in der jeder einzelne Hund mich begleitet, so kurz. Gäbe es die Möglichkeit, ihnen ein paar Jahre meines Lebens abzugeben – ich würde es tun. Ohne jeden Zweifel."

Vater Arne war nicht nur Berufsjäger, sondern züchtete zuhause auf dem Hof auch erfolgreich Jämthunde. Vor fünf Wochen wurde Evas erster Wurf Jämthunde geboren. Die Hunde bedeuten ihr alles, sie sind nicht nur ihre Arbeitskollegen, sondern auch ihre Lebensgefährten. „Ich betrachte es als eine Ehre, gemeinsam mit Hunden durchs Leben zu gehen; leider ist die Zeit meines Lebens, in der jeder einzelne Hund mich begleitet, so kurz. Gäbe es die Möglichkeit, ihnen ein paar Jahre meines Lebens abzugeben – ich würde es tun. Ohne jeden Zweifel."

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Ihre Stimme bricht, als sie von ihrem gestorbenen Hühnerhund Minn erzählt, der vor einigen Jahren gestorben ist. „Der Nachteil daran, dass man seinen Tieren so nahe steht, ist, dass es einem das Herz bricht, wenn ihnen etwas passiert. Sie trocknet eine Träne von der Wange, zurück bleibt eine schmutzige Spur von ihrer Hand.

Letztes Jahr, als die Elchjagd in vollem Gang war, passierte etwas wirklich Schlimmes. Sie jagte mit einem geliehenen Hund und hatte gerade einen Elch geschossen, der mitten in einem Fluss mit starker Strömung zu Fall kam. Seinem Instinkt folgend lief der Hund zum Elch und fiel in das reißende Wasser. „Ich hatte keine andere Wahl, als in den Fluss zu springen und den Hund zu retten. Schließlich konnte ich mit der einen Hand sein Halsband greifen und mit der anderen ein paar überhängende Äste, an denen ich mich hochziehen konnte. Danach dachte ich: Ich bin also bereit, mein eigenes Leben für einen Hund zu opfern. Jetzt weiß ich das.“

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Das Handy klingelt, einige Wörter werden ausgetauscht, bevor das Gespräch mit einer kurzen „Okay, ich komm dann morgen“ beendet wird. Eines der Rentiere ist in den Nachbarort entlaufen.


Rentierschlachtung

Es ist ein früher Herbst, aber die Bergbirken haben bereits damit begonnen, ihr Laub abzuwerfen. Der Atem von Menschen und Tieren strömt als warme Dampfwolken in die klare Luft. Von den frisch gehäuteten Rentierkörpern, die überall hängen, strahlt Wärme ab, als wäre der Tod allgegenwärtig. Für die diesjährige Rentierschlachtung sind viele Menschen gekommen. Jeder hat seine Aufgabe. Kleine Kinder hüpfen durch Blutpfützen, als wäre es Wasser. Hunde spielen mit abgeschnittenen Rentierschwänzen. Eine alte Frau kocht Kaffee auf dem Feuer. Über allem liegt eine ungewöhnliche Stille.

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Jeder weiß, dass Eva sich um die eingefangenen Rentiere kümmern wird. Aber niemand sagt etwas. In der Umzäunung bewegen sich die Rentiere wie in einem Karussell. Immer im Kreis herum laufen sie, ohne zu wissen, dass ihr Leben bald vorüber ist. Die Männer werfen abwechselnd ihr Lasso und fangen ihre Rentiere ein, einige mit mehr Geschick als andere. Die Hierarchie zwischen ihnen spürt man irgendwie an ihrem Wurf. Eva geht zielstrebig durch das Gatter und bald liegt das Seil um das Geweih. Nach etwas Ziehen und Zerren ist das Rentier aus der Umzäunung. Der Tod kommt schnell, ein Schuss auf die Stirn mit dem Bolzenschussgerät und das Tier geht schwer zu Boden.

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„Es ist für ein junges Mädchen schwierig, sich Dinge zu trauen, die sie uns andere Frauen nicht tun sieht.


Eva übernimmt das Kommando für das Schlachten und Zerlegen. Das macht sie seit ihrer Kindheit, was sich deutlich daran zeigt, wie selbstverständlich und methodisch sie mit Tier und Messer umgeht. Schritt für Schritt mit selbstbewussten Bewegungen. Meist übernehmen die Männer das Schlachten und Zerlegen; so war es schon immer. Aber heute nicht. Ein junges Mädchen, gerade einmal ein Teenager, sagt mit leiser Stimme, dass sie das Schlachten und Zerlegen lernen möchte. Eva nimmt sich ihrer ohne Zögern an und geht mit ihr geduldig jeden einzelnen Schritt durch, während sie sich um das Tier kümmert. „Es ist für ein junges Mädchen schwierig, sich Dinge zu trauen, die sie uns andere Frauen nicht tun sieht.

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Im Auto auf dem Nachhauseweg wird schlürfend der lauwarme Kaffee getrunken, ansonsten ist es still. Es ist zu merken, dass alle nach dem Tag müde sind. „Ich will auf keinen Fall, dass ein Tier leidet. Aber es ist mir lieber, dass ich es bin, die am Ende da ist und dafür sorgt, dass alles richtig läuft. Der Moment des Todes kann schrecklich anstrengend sein. Wer bin ich, zu entscheiden, dass dieses Tier sterben soll? Aber solange es auf die richtige Weise geschieht, ist es in Ordnung. „Ich denke an ein Zitat aus dem Film „Unterwegs nach Cold Mountain“, als eine alte Frau dasitzt und ihre Lieblingsziege vor der anstehenden Schlachtung streichelt: „I’ve learned a person can pretty much survive of a goat. A goat gives you company, and milk, and cheese… and when you need it, good meat“ (Ich habe gelernt, dass ein Mensch ziemlich gut von einer Ziege leben kann. Eine Ziege leistet dir Gesellschaft und gibt dir Milch und Käse … und wenn es nötig ist, gutes Fleisch). Genau so empfinde ich es.“

Wir fahren in aller Stille weiter nach Hause.

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