EIN RENTIERJAHR – Ein Jahr mit einem Rentierzüchter

Das Rentierjahr ist ein von Jahreszeit, Wetter und dem Bewegungsmuster der Rentiere gesteuerter Zyklus. Jedes Jahr ist einzigartig. In verschiedenen Jahren müssen ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden. Was früher galt, gilt nicht mehr in einem sich verändernden Klima und in einem Umfeld mit ständigen Herausforderungen und Veränderungen.

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Es ist eiskalt unterm Kragen. Eine Kälte, die sich festsetzt und durch Mark und Bein geht. Ich ziehe meine Handschuhe wieder an, nachdem ich die Mütze im harten Gebirgswind festgebunden habe, und freue mich, dass dies nur für wenige Wochen im Jahr mein Arbeitsplatz ist. Für die Rentierzüchter ist das der Arbeitsalltag, trotz Kälte und Unwetter. Ola nimmt die Seitenabdeckung des Schneemobils ab, das fast 30.000 km gelaufen ist. Es scheint wieder was kaputt zu sein. Ich haben nicht einmal die Kraft, darüber nachzudenken, was es sein könnte und schaue über die weißen Weiten des Gebirgszugs Vindelfjällen, während Ola mit seinem großen Outdoormesser gegen etwas klopft, was ich für den Anlasser halte. Der Wind peitscht uns ins Gesicht und jede Schneeflocke fühlt sich im Schneesturm wie eine Nadel auf der Haut an. Nachdem er endlich das Schneemobil zum Laufen gebracht hat, können wir die 60 km bis zu den Rentieren mit den Schneemobilen zurücklegen. Wenn wir vor Ort sind, dann beginnt erst die Arbeit.

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„JAHKI II LEAT JAGI VIELLJA“ Das eine Jahr ist nicht der Bruder des anderen/Ein Jahr ist nicht wie das andere

 

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„Ein Rentier, das im November im Gebirge nach Futter sucht, ist das Schönste, was es gibt, und dann ist es auch am stärksten.“

 

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MAI–JUNI, DIE KÄLBER WERDEN GEBOREN

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JULI–AUGUST, KÄLBERMARKIERUNG & SOMMERWEIDE

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Mücken und Wärme treiben die Rentiere nach Westen. Nach Mittsommer ist es Zeit für das Zusammentreiben und die Kälbermarkierung. Die Familie und viele Verwandte begleiten die Rentierzüchter auf die Sommerweide. Das ist ein beliebtes Ereignis im Rentierjahr. Dann ist es rund um die Uhr hell und die Rentiere steuern den Tagesrhythmus. Während der Kälbermarkierung werden die Rentiere mehrmals mithilfe von Hunden und Geländefahrzeugen zusammengetrieben und zu einem der in der Nähe befindlichen Rentiergehege gebracht. Meist erfolgt die Kälbermarkierung nachts. Dank der Mitternachtssonne ist es hell und es ist kühler als am Tag. So werden die Rentiere nicht so stark beeinträchtigt. Nach 6–8 Stunden muss die Herde freigesetzt werden, um zu fressen und zu ruhen. Jedes Rentier ist im Besitz von jemandem. Ein spezielle Ohrenzeichen zeigt, wer der Eigentümer ist. Jedes Kalb wird mit der gleichen Marke wie die Kuh gekennzeichnet, sodass auch das Kalb dem selben Besitzer gehört. Nach der letzten Kälbermarkierung des Sommers dürfen die Rentiere frei weiden und sich vor dem Herbst und der Schlachtzeit satt zu fressen.

 

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čakča
SEPTEMBER, SCHLACHT & JAGD

Anfang September müssen die Rentierzüchter alle Rentiere wieder für die Bullenschlachtung zusammentreiben. Die Rentierherde wird zum Schlachtgehege auf dem Björkfjäll geführt. Die Rentierbullen haben gut zugelegt. Es ist an der Zeit, sie zu schlachten, bevor die Brunft beginnt. Der größte Teil des Jahreseinkommens eines Rentierzüchters stammt aus dem Verkauf von Fleisch in Verbindung mit der Schlachtung. Die Bullenschlachtung ist eine schwere Arbeit. Die gesamte Rentierherde muss systematisch durchgegangen werden. Die kräftigen Bullen werden eingefangen und zum Schlachtplatz gebracht. Schlachter und Tierärzte sind vor Ort, um die Rentierkörper zu prüfen und zu inspizieren. Ein Teil des Fleisches dient als Nahrung für die Rentierzüchterfamilien für den Rest des Jahres. Für die Kinder ist es ganz natürlich, dabei zu sein und zu sehen, woher das Fleisch kommt.

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OKTOBER, RENTIERTRIEB & HERBSTSAMMLUNG

 

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Am Ende des Herbstes wird die gesamte Rentierherde des Samidorfes zusammengetrieben und dann in kleinere Winterweidegruppen aufgeteilt. Die Weidebedingungen verschlechtern sich, wenn der Schnee fällt. Sobald der Schnee fällt, beginnen die Rentierzüchter die Ränder zu beobachten und die Rentiere zu sammeln. Die Rentierscheidung beginnt im Zeitraum Oktober bis Dezember. Der Winter ist lang und schwer. Ein nasser Frühwinter mit schmelzendem und übertfrierendem Schnee sorgt für eine dicke Eisdecke auf dem Boden, die die Weidegebiete für die Rentiere „schließt“. In einem guten Winter ist es für die Rentier kein Problem, an Nahrung zu gelangen. Ein guter Winter für die Rentierweide zeichnet sich durch trockenen und kalten Schnee aus. Allerdings darf die Schneedecke auch nicht zu tief sein, da die Rentiere sonst zu viel Energie für das Graben bis auf den Boden aufwenden müssen.

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NOVEMBER, RENTIERTRIEB & RENTIERSCHEIDUNG

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DEZEMBER–APRIL, WINTERWEIDE IM WALD

 

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APRIL–MAI, FRÜHLINGSAUFTRIEB

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Ende April können die Rentiere wieder in die Berge getrieben werden. Der lange Frühlingszug von 360 km ist anspruchsvoll für Rentiere, Rentierzüchter und Hunde. Die Rentierzüchter ziehen mit der Herde jeweils 10 bis 30 km pro Tag, und passen die Strecke an die Ausdauer und das Wohlbefinden der Rentiere an. Jede Nacht wird auf einer Koppel pausiert, wo die Rentiere über Nacht eingeschlossen und vor der nächsten Etappe mit Heu und Pellets gefüttert werden. Trächtige Rentierkühe müssen geschützt werden, wenn sie die Berge erreicht haben, da sie ihre Kälber verlieren können, wenn sie unter Stress stehen. Daher gibt es in den sensibelsten Zeiten ein Schneemobilverbot in den Bergen. Sobald man mit den Rentieren aus dem Waldland herauf kommt und an den Südhängen freie Stellen mit frischer Frühlingsnahrung zu finden sind, bekommen die Rentiere neue Energie. Der Rentierzüchter kann sich ein wenig ausruhen, der Winter ist vorbei und schon bald erwarten ihn neue Kälber und das neue Rentierjahr.

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